Dies ist Dokumentation einer
5-wöchigen Fahrradtour quer durch Großbritannien, von Penzance in
Südwest- England nach Stromness auf Orkney, Nordost-Schottland.
Teil 4:
23. Tag, Sonntag, 11.06.2000
(97,6 km, 1571,3 km)
Der Widerstand beim Trampeln ist so heftig,
dass ich nun kleinste Erhebungen nicht mehr radeln kann und schieben
muss. Nach 6 km bin ich in Port Ellen und nehme die Fähre zurück
nach Kennacraig. Beim Filmwechseln versagt der Transportmechanismus
von Kamera Nr. 2.
Von Kennacraig aus kann ich nur noch in den kleinen Gängen, ohne
viel Drehmoment fahren, sobald das Drehmoment größer wird,
blockiert der Antrieb. Es geht halbwegs flach über Tarbert nach
Lochgilphead und weiter bis Kilmartin. Nun wird es wieder bergig und
ich schiebe ausgiebig. Ab und zu regnet es.
Etwa 10 km habe ich mal wieder 'nen Platten am Hinterrad. Ich
flicke jetzt nicht, sondern rette mich mit 4maligem Nachpumpen bis
zur JH in Oban. Am Abend regnet es in Strömen, so dass ich in der
JH bleibe.
Ü: JH Oban
24. Tag, Montag, 12.06.2000
(8,5 km, 1579,8 km)
Planmäßig ist dieser Tag als Ruhetag
vorgesehen. In der JH flicke ich das Hinterrad, dann radele ich ohne
Gepäck zum örtlichen Fahrradladen, der sich das Problem anschauen
will. Ich mache mich im Regen auf in die Stadt, kaufe eine einfache
neue Kamera und noch ein paar Vorräte, dann bin ich zur
verabredeten Zeit wieder bei dem Fahrradhändler.
Diagnose: Die Hinterachse war gebrochen. Nun hat er in meine
SACHS-Nabe eine Shimano-Achse eingebaut. Ich kaufe noch 2 Ersatzschläuche
und einen Schaltungszug, dann hole ich an der JH mein Gepäck ab und
radele zum Fähranleger.
Beim Abstoppen vor dem Terminalgebäude trete ich mit dem rechten
Bein falsch auf und ein stechender Schmerz durchfährt meinen
Wadenmuskel. Muskelfaserriss oder- zerrung. Ich kann kaum auftreten
und humpele in den Wartesaal. Zum Glück ist die Muskelsalbe
griffbereit und für alle Fälle habe ich eine Neoprenmanschette
dabei. So kann ich mich erst mal notdürftig verarzten.
Im strömenden Regen schiebe ich mein Fahrrad
aufs Schiff und suche mir gemeinsam mit 4 anderen Radlern einen
Platz in der Lounge, wo ich mein Bein hochlegen kann. Das Schiff
startet um 15 Uhr und soll um 21:30 in Lochboisdale ankommen. In den
ersten 2 Stunden fahren wir durch den Sound of Mull, so dass wir
noch vom offenen Meer geschützt sind, doch kaum erreichen wir den
offenen Ozean wird es unruhig. Das Schiff rollt, schwankt, taumelt
und wir sitzen im Heck des Schiffes. Zweimal gehen in der Bar
reichlich Gläser kaputt. Essen oder trinken mag ich jetzt nicht
mehr. Ich lege mich hin und versuche im Rollrhythmus des Schiffes zu
atmen. Zwischenzeitlich hat die deutsche Fußballmannschaft das 1.
Spiel der EM mit einem Unentschieden mühselig überstanden und wir
schauen uns die Engländer gegen Portugal an.
Es steht 2:1 für England. Nach gut 3 Stunden wird es
ruhiger. Unser Schiff hat Barra erreicht. Das Fernsehbild fällt
aus. Als wir wieder Fernsehempfang haben, steht es 3:2 für Portugal
und die Schotten an Bord freuen sich.
Mit 1 Stunde Verspätung wegen des Unwetters erreichen wir gegen 22.30 Uhr Lochboisdale.
Mein repariertes Fahrrad fährt wieder und die kaputte Wade ist beim
Radeln kaum zu spüren. Mein B&B liegt 4 km außerhalb und ich
werde erwartet. Ich schaue noch ein wenig im Fernsehen und versorge
den kaputten Muskel, dann gehe ich zu Bett.
Ü: B&B Lochboisdale
25. Tag, Dienstag, 13.06.2000
(88,5 km, 1668,3 km)
Es stürmt. Die Vermieterin erzählt, dass alle
Fähren gecancelt seien. Meiner Wade geht es schon besser. Als ich
starte, kommt der Wind auf den ersten 3 km fast von vorn und ich
muss ordentlich arbeiten. Dann drehe ich ab Richtung Norden und habe
nun Rückenwind. Auf Uist gibt es nur eine richtige Strasse, die in
Süd-Nord-Richtung verläuft. Die Insel ist sehr zersiedelt und
immer wieder zweigen kleine Stichstrassen nach Ost und West ab. Die
Strecke ist beinahe flach. In Westrichtung kann man den Ozean sehen,
im Osten liegen die Berge der Insel.
Der Sturm schiebt mich beständig nach Norden. Ich erreiche den
Causeway nach Benbecula und überquere auch diese Insel. Der nächste
Causeway nach North Uist führt über mehrere kleine Inselchen und
ist relativ lang. Nun muss ich ein Stück bis Carnish nach Westen,
also gegen den Wind, radeln. Doch schon bald habe ich wieder Rückenwind.
Am frühen Nachmittag erreiche ich Lochmaddy. Es beginnt zu regnen
und ich ziehe mich erst mal in einen Pub zurück.
Nach 1 Stunde geht es weiter, gegen den Wind nach Nordwest. Die
Insel Bernerey ist seit 2 Jahren ebenfalls per Causeway erreichbar
und beherbergt eine JH in einem reetgedeckten Black House. Die Sonne
scheint. Etwa 2 km vor der JH blockiert mein Hinterrad. Es schleift
am Rahmen. Ich befürchte schlimmstes und schiebe erst mal zur
Jugendherberge.
Die Diagnose ist fatal: Erneut Achsenbruch, etwa 90 Straßenkilometer
entfernt vom nächsten Fahrradladen. Jetzt ist Planung erforderlich,
da ich nicht weiß, ob und welche Omnibusse auf welchen Inseln Fahrräder
mitnehmen und ob in Stornoway oder Ullapool Reparaturen möglich
sind. Die Frage lautet also auch: Zurück nach Oban oder über
Stornoway und evtl. Ullapool nach Inverness. Muss ich evtl. das
Fahrrad irgendwo zurücklassen und mit dem ausgebauten Hinterrad
weiter zum nächsten Laden?
Ich entschließe mich, mit der Fähre vom
Causeway nach Helensburgh auf Harris hinüberzusetzen, um dann evtl.
auch ohne Fahrrad mit dem Bus nach Stornoway zu fahren.
Ü: JH Berneray
26. Tag, Mittwoch, 14.06.2000
(6,2 km, 1674,5 km)
Ich schiebe also am nächsten Morgen die 3,5 km
zum Fähranleger. Die Überfahrt durch die felsige Passage dauert
bei strahlendem Sonnenschein eine knappe Stunde. Kurz nach der
Landung in Helensburgh kommt der Bus. Fahrradtransport? Kein
Problem. Die Fahrt über die Single-Track-Strassen von Harris und
Lewis ist traumhaft. Zuerst geht es auf Harris entlang der Küste
mit immer wieder tollen Ausblicken, dann geht es hinauf in die
felsige Mondlandschaft. Nach 1 Stunde sind wir im Fährort Tarbert,
wo der Fahrer 10 Minuten Pause macht. Die Strecke von Tarbert nach
Stornoway bin ich bereits 1995 geradelt, jetzt, aus dem Bus
schauend, kommen die Erinnerungen hoch. Schade, dass ich es heute
nicht selber fahren kann.
Gegen 15 Uhr sind wir in Stornoway. Der Busfahrer erklärt mir den
Weg zum Fahrradladen. Der Ladeninhaber sagt, er braucht 2 Stunden
und ich erkunde die Stadt, checke dann in einem privaten Hostel ein.
Gegen 17:30 hole ich mein Fahrrad ab. Der Laden hat ein vollständiges
Hinterrad montiert. Shimano-Achse und 7fach-Zahnkranz. Dünne
Speichen und RIGIDA-Schmalspur-Felge.
Mein kaputtes Hinterrad nehme ich mit.
Ü: Hostel Stornoway
Donnerstag, 15.06.2000
(10,5 km, 1685,0 km
Die Probefahrt bei herrlichstem Sonnenschein
endet grausig. Der 37er-Mantel sitzt schief auf der zu schmalen
Felge. Dann dies: Die Kette springt bereits nach wenigen Metern über
das 7te Ritzel und 3 Speichen brechen... Ich beschliesse die
Radikalkur.
Ich zerlege sowohl das alte als auch neue Hinterrad und die Bastelei
beginnt. Aus alter Felge, alten Speichen und der neuen Nabe baue ich
innerhalb von 2 Stunden ein neues Hinterrad auf. Die Feinjustage
dauert dann weitere 2 Stunden. Da nun einige Speichen zu weit in die
Felge hineinragen, kommt die Flachfeile zum Einsatz. Einige Speichen
sind nicht mehr ordentlich anzuziehen, auch eine der Notspeichen
kommt schon zum Einsatz. Aber gegen 16 Uhr
kann ich Felgenband, Mantel und Schlauch montieren, den
Zahnkranz festziehen und das Rad einbauen.
Ich mache noch ein kurze Probefahrt, die ich bald wegen Regens
abbreche.
Ü: Hostel Stornoway
28. Tag, Freitag, 16.06.2000
(75,5 km, 1760,5 km)
Bereits um 5:00 Uhr weckt mich mein
Radiowecker. Ich packe meine Sachen zusammen und verlasse das Hostel.
Um 5:30 Uhr muss ich am Fähranleger für die Frühfähre
einchecken. Um 6:15 ist Abfahrt, gegen 7:00 Uhr frühstücke ich an
Bord. Ich treffe einen Mitarbeiter von British Telecom, mit dem ich
mich den Rest der Überfahrt unterhalte.
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Um 9:00 Uhr legen wir in Ullapool an. Ich fahre zur JH und mache
eine Reservierung für Carbisdale Castle, denn ich habe meine
Reiseroute geändert. Dann fahre ich im Sonnenschein gen Norden.
Bald verlasse ich die Küste und es geht bergauf- bergab über
Elphin zur Ladmore- Straßenkreuzung. Anstatt mich, wie ursprünglich
geplant, weiter nordwestlich zu halten, biege ich hier ab Richtung
Ostküste. Es geht durch eine einsame Moorlandschaft. Die Angst fährt
jetzt ständig mit, hält das notdürftig zusammengeschusterte
Hinterrad? Nach 50 km habe ich eine Reifenpanne hinten. Wegen der
Isobandlagen geht der Mantel kaum noch ab. Erneut kommt die Feile
zum Einsatz. Gegen 18 Uhr bin ich in Invershin und überquere
illegal die Eisenbahnbrücke (siehe Tour 1999...).
Dann bekomme ich in der imposanten JH Carbisdale Castle ein
Einzelzimmer und ein gutes Abendessen.
Ü: JH Carbisdale Castle
29. Tag, Samstag, 17.06.2000
(71,3 km, 1831,8km)
Nieselregen. In Bonar Bridge wechsele ich auf
die alte Bundesstrasse nach Nordost. 5 km weiter habe ich erneut
eine Reifenpanne. Also wieder Flicken, Abfeilen und eine neue Lage
Isoband. Der Mantel lässt sich nur mit Mühen wieder draufziehen.
Vorsichtig geht es weiter. Bei Clashmore komme ich auf die Küstenstrasse,
die aber an diesem Wochenende nicht stark befahren ist. Es geht nach
Golspie.
Kurz vor Brora reisst eine Speiche und das Hinterrad schleift. Die
vorletzte Notspeiche kommt zum Einsatz. Auch vorn wird eine kaputte
Speiche ausgewechselt. Noch befinde ich mich parallel zur
Eisenbahnstrecke. Da ich keine Lust habe, auf den kommenden Etappen,
fern der Eisenbahn, ständig in Angst zu leben, dass das Hinterrad
nicht mehr zu reparieren ist, beschließe
ich, die Tour in Helmsdale abzubrechen.
In Helmsdale checke ich in der JH ein, dann besichtige ich den Ort
und kläre am Bahnhof die Abfahrtszeiten. Da Sonntags kein Zug fährt,
werde ich bis Montag hier bleiben. Reservieren kann ich hier nicht
und der Mann am Infotelefon in Inverness sagt, dass ich frühestens
am Montag abend einen Platz bekommen könnte, eine Reservierung aber
per Telefon nicht möglich sei. So etwas nennt man Kundendienst...
Ich gehe in den Pub. Das EM-Spiel
England-Deutschland hat schon begonnen. Etwa 50 Pub-Besucher, die
Einheimischen, feuern Deutschland an. Als das 1:0 für England fällt,
jubelt jemand. Es ist ein Engländer, der wie ich in der JH übernachtet.
Die Enttäuschung über Deutschlands Niederlage gegen ihren Todfeind
England wird von den Schotten dann relativ leicht weggesteckt.
Ü: JH Helmsdale
30. Tag, Sonntag, 18.06.2000
(0 km, 1831,8 km)
Ich verbringe den Tag in Helmsdale. Interessant
ist vor allem das örtliche Museum.
Ü: JH Helmsdale
31. Tag, Montag, 19.06.2000
(2,6 km, 1834,4 km)
Am Morgen rolle ich zum Bahnhof. Gegen 10 Uhr
kommt der Zug. Nach kurzer Verhandlung mit dem Schaffner darf ich
mein Fahrrad verladen und bin kurz vor 12 Uhr in Thurso. Ich checke
im Hostel ein, dann besuche ich die Stadt. Nachmittags hole ich mir
in der Hochschul- Bibliothek ein Passwort und surfe stundenlang
gratis im Internet.
Ü: Hostel Thurso
32. Tag, Dienstag, 20.06.2000
(6,2 km, 1840,6 km)
Bis zum Fährhafen Scrabster sind es nur 5 km.
Im Nieselregen legt die Fähre nach Orkney ab. Als wir an dem berühmten
„Old Man Of Hoy“, einem allein stehenden Felsen vorbeifahren,
ist dieser im Dunst kaum zu erkennen. Dann sind wir in Stromness und
ich erkunde den Ort. Um 17 Uhr checke ich in der Jugendherberge ein,
die Übernachtung war seit Ayr gebucht. Im Pub schaue ich
Portugal-Deutschland. Mit 0:3 fliegt die deutsche Elf aus dem
EM-Turnier.
Ü: JH Stromness
33. Tag, Mittwoch, 21.06.2000
(2,3 km, 1842,9 km)
Ich nehme den Bus in die grösste Stadt von
Orkney. In Kirkwall besuche ich „Highland Park“, die Destillerie
meiner Lieblings-Whisky-Sorte. In der Stadt schaue ich mir die
Magnus-Kathedrale und das Museum an, dann geht es per Bus zurück
nach Stromness. Um 17 Uhr hole ich Fahrrad und Gepäck an der JH ab.
Im Stromness- Hotel gönne ich mir ein Abschiedsessen, dann checke
ich auf der Stromness-Aberdeen-Fähre ein. Um 22 Uhr legen wir ab.
Ü: Fähre Stromness-Aberdeen
34. Tag, Donnerstag, 22.06.2000
(8,5 km, 1851,4 km)
Nach ruhiger Überfahrt erreichen wir leicht
verspätet Aberdeen. Ich schiebe hinüber zum Bahnhof, besteige
meinen Zug und bin mittags in Edinburgh. In der JH ist mein Bett
gebucht, nach dem Einchecken geht es in die Stadt.
Ü: JH Edinburgh (Bruntsfield)
35. Tag, Freitag, 23.06.2000
(0km, 1851,4 km)
Ich erkunde Edinburgh und mache ein paar
Einkäufe.
Ü: JH Edinburgh (Bruntsfield)
36. Tag, Samstag, 23.06.2000
(17,2 km, 1868,6 km)
Zum vorletzten Male packe ich meine Sachen. Ich
fahre zum Bahnhof. Die Reise nach Newcastle dauert 2 Stunden. Ich
verbringe nur eine kurze Zeit im Stadtzentrum, dann mache ich mich
auf die letzten 13 km der Reise. Kurz vor dem Hafen mache ich
nochmals eine Rast, dann kann ich nach den üblichen Kontrollen
direkt bis auf das Schiff radeln. Meine Kabine teile ich mit einem
anderen Radler aus Utrecht, mit dem ich auch den Abend verbringe.
Ü: Fähre Newcastle-Amsterdam
37. Tag, Sonntag, 24.06.2000
(0,4 km, 1867,0 km)
Pünktlich um 9:30 sind wir in Ijmuiden.
Andreas ist mit meinem Auto auch schon da.
Wir fahren via Utrecht, Eindhoven und Lüttich. Dann geht es durch
die Ardennen in die Eifel. Bitburg, Trier. Im Moseltal wird auf luxemburgischer
Seite getankt und gegen 15 Uhr sind wir in Besch, wo wir meinen Hund
Lucky abholen.
Über die Moselautobahn geht es nach Koblenz,
wo wir wegen Staus die Autobahn verlassen. Über die B9 fahren wir
über Bonn nach Köln, dann die A1 bis Hagen. Um 20 Uhr setze ich
Andreas zu hause ab, kurz vor halb neun bin ich nach 37 Tagen wieder
zu hause.
Fazit:
Natürlich hätte ich die Tour gerne zu Ende gefahren, mußte aber
zum Schluß der Tour doch dem hohen Verschleiß Tribut zollen.
Im Laufe dieser Tour wurde mir dann auch immer klarer, daß ich
vermutlich eine Reise dieses Ausmaßes mit dem Fahrrad in den
kommenden Jahren nicht mehr machen werde.
Als Konsequenz habe ich mir im Herbst 2001 einen VW-Bus mit
Campingausbau gekauft.
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